«Die Schweiz kann eine Schlüsselrolle spielen»

ETH-Professor Klaus Ensslin leitete w?hrend 12 Jahren den Nationalen Forschungsschwerpunkt ?Quantum Science and Technology?. Ende Jahr l?uft das Programm aus. Ein Gespr?ch über wissenschaftliche Durchbrüche und die Rolle der Schweiz in der Quantenforschung.

Um die fragilen Quantenzustände untersuchen zu können, braucht es eine ausgeklügelte Technik. Diese steht den Forschenden in der Schweiz zur Verfügung. (Bild: ETH Zürich / Heidi Hostettler)
Um die fragilen Quantenzust?nde untersuchen zu k?nnen, braucht es eine ausgeklügelte Technik. Diese steht den Forschenden in der Schweiz zur Verfügung. (Bild: ETH Zürich / Heidi Hostettler)

Herr Ensslin, Ende Jahr endet der Nationale Forschungsschwerpunkt ?Quantum Science and Technology? (NCCR QSIT). Er fiel in eine Zeit, die von der ?zweiten Quantenrevolution? gepr?gt ist. Was versteht man unter diesem Begriff?
Der Begriff ?zweite Quantenrevolution? bezieht sich auf die Verschr?nkung von Quantenobjekten, das heisst, dass man in der Lage ist, mehrere Quantenobjekte zu kontrollieren. Diese Entwicklung begann in den 1980er-Jahren. In den letzten Jahren ist der Aspekt des Engineering dazugekommen. Man kontrolliert also nicht nur mehrere Quantenobjekte, sondern baut mit ihnen v?llig neue Systeme.

Was war denn die erste Quantenrevolution?
Das war, als man in den 1950er-Jahren Ger?te wie den Laser oder den Transistor entwickelte, die ebenfalls auf quantenmechanischen Prinzipien beruhen. Man hat also einen bestimmten quantenmechanischen Aspekt technisch nutzbar gemacht. Heute jedoch baut man mit Quantenobjekten Dinge, die es vorher nicht gab. Mein Kollege Tilman Esslinger zum Beispiel baut optische Gitter, in die er kalte Atome setzt, so dass v?llig neue Zust?nde entstehen. Oder Yiwen Chu, die mechanische Oszillatoren koh?rent an supraleitende Schaltkreise koppelt. Das sind alles Sachen, die es in der Natur nicht gibt.

Die Quantenforschung befasst sich heute mit v?llig unterschiedlichen Systemen. Ist diese thematische Breite auf Dauer sinnvoll, um zum Beispiel einen Quantencomputer zu bauen? Oder zeichnet sich eine Fokussierung auf bestimmte Technologien ab?
Irgendwann wird es in der Quantentechnik eine Fokussierung geben, so wie in anderen Technikbereichen auch. Die grossen Firmen haben ihre Wahl schon getroffen. Microsoft hat sich für topologische Qubits entschieden, Google und IBM arbeiten mit supraleitenden Schaltkreisen. Ich denke aber, es dauert noch mindestens 10 Jahre, bis wir wissen, welches die beste Technologie ist. Es k?nnte auch sein, dass wir sie noch gar nicht kennen. Es w?re also verfrüht, uns jetzt schon einzuschr?nken.

Wenn Sie auf den NCCR QSIT zurückblicken: Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Errungenschaften?
Wissenschaftlich haben wir in den meisten Gebieten Meilensteine erreicht. An der ETH Zürich haben wir zum Beispiel die Fehlerkorrektur von Quantensystemen verbessert oder Fortschritte bei der Beherrschung von immer gr?sseren Quantenobjekten erzielt. Unseren Kollegen an der Universit?t Genf gelang es, quantenverschlüsselte Informationen über 550 Kilometer zu übermitteln. Das war ein Weltrekord. An der Universit?t Basel gelang es, zwei unterschiedliche Quantensysteme über Glasfasern miteinander zu verbinden. Solche Schritte sind für die Zukunft wichtig, denn wir werden vermutlich vermehrt mit hybriden Technologien arbeiten. Ein grosser Erfolg ist zudem, dass die Mitglieder des NCCR QSIT ungef?hr 40 ERC-Grants eingeworben haben. Das gab unserer Forschung zus?tzlichen Schub.

?Die Wissenschaft l?uft wirklich gut, die Schweiz hat mit der Quantenforschung eine Perle, die geopfert wird. Die Konsequenzen werden wir in einigen Jahren spüren.?
Klaus Ensslin

Wie geht es nach dem Ende des NCCR QSIT weiter?
Unter der Führung von Andreas Wallraff wurde an der ETH Zürich ein neues Quantum Center gegründet, das die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen 竞彩足球app,竞彩投注appn unterstützen wird. ?hnliche Zentren gibt es in Basel, Genf und Lausanne. Auf nationaler Ebene startet im Januar 2023 die neue Swiss Quantum Initiative, welche die verschiedenen Akteure vernetzen wird. Alle beteiligten Universit?ten sind sich einig: Die Quantenforschung ist ein heisses Thema. Deshalb hat die EU 2018 ja auch das milliardenschwere Quantum Flagship gestartet.

Gerade von diesem grossen Forschungsprogramm sind Schweizer Forschende nun aber ausgeschlossen.
Bei der ersten Runde des Quantum Flagship hat die Schweiz 25 Millionen Euros an Forschungsgeldern eingeworben, sie war bei 6 von 20 Projekten beteiligt. Zum Vergleich: Deutschland hat 40 Millionen eingeworben, alle anderen L?nder weniger. Die Schweiz hat also überproportional stark partizipiert. Bei der zweiten Runde ist nun niemand mehr von uns dabei. Es gibt zwar ein Ersatzprogramm, das der Nationalfonds finanziert, aber das ist natürlich nicht das Gleiche.

Schadet sich die EU mit dieser harten Haltung nicht selber?
Das denke ich auch. Die Forschenden in der EU wollen uns eigentlich dabei haben. Aber das nützt nichts. Die Wissenschaft ist in diesem Fall die Geisel der Politik.

Wie ist das für Sie als Betroffener?
Das tut weh. Die Wissenschaft l?uft wirklich gut, die Schweiz hat mit der Quantenforschung eine Perle, die geopfert wird. Die Konsequenzen werden wir in einigen Jahren spüren. Für mich als etablierter Forscher sind die Folgen ertr?glich, ich habe mein Netzwerk aufgebaut. Aber für die jungen Forscherinnen und Forscher sind die Konsequenzen dramatisch.

Ein anderer Einflussfaktor sind die grossen Tech-Firmen, die gewaltige Summen in die Quantenforschung investieren. Ein Glücksfall für die Forschung?
Das Engagement der grossen Firmen hat verschiedene Konsequenzen für die akademische Forschung. Teile unseres Gebietes werden von Geld überschwemmt, so dass viele gute Leute in die Industrie gehen. Sogar ein ETH-Physikprofessor wurde von einer grossen Firma schon abgeworben, das ist ungew?hnlich. Aus dem grossen Engagement der Firmen ergeben sich jedoch auch neue M?glichkeiten zur Zusammenarbeit – mit all ihren Vor- und Nachteilen.

Das heisst konkret?
Man kann dank diesen Kollaborationen technisch komplexe Projekte realisieren, die sonst nicht m?glich w?ren. Die Industrie arbeitet professionell und treibt einzelne Bereiche schnell vorw?rts. Die Kehrseite: Die Firmen haben enge Zielvorgaben. Sie legen genau fest, wann sie wo sein wollen. Das nimmt der Forschung Freir?ume. Andererseits erhalten wissenschaftliche Fortschritte im universit?ren Umfeld eine viel gr?ssere Aufmerksamkeit, da es ja der n?chste entscheidende Durchbruch sein k?nnte für das gesamte Gebiet.

NCCR QSIT

Der Nationale Forschungsschwerpunkt ?Quantum Science and Technology? (NCCR QSIT) startete 2011 und wurde zwei Mal verl?ngert. Die ETH Zürich war dabei Leading House, zusammen mit der Universit?t Basel als Co-Leading House. Am NCCR QSIT haben sich auch die EPF Lausanne, die Universit?t Genf, das IBM Forschungslabor Zürich sowie die Università della Svizzera italiana in Lugano beteiligt.

Der NCCR QSIT verbindet Quantenphysik und Informationstheorie, zwei zentrale Forschungsfelder, die sich im 20. Jahrhundert etabliert haben, um daraus Technologien für das 21. Jahrhundert zu entwickeln.

Neben den grossen Tech-Firmen investieren auch die USA und China grosse Summen in die Quantenforschung. Kann Europa da mithalten?
In der Grundlagenforschung k?nnen wir gut mithalten, da ist Europa führend. Was uns fehlt, sind grosse Firmen, die ein Wagnis auf sich nehmen. Immerhin haben wir hier in Zürich das IBM-Forschungslabor, mit dem wir seit Jahren gut zusammenarbeiten.

Welche Rolle spielen Spin-off Firmen, die aus dem NCCR QSIT entstanden sind?
Die darf man nicht untersch?tzen. Diese Firmen setzen zwar keine Milliarden um, aber sie sind hoch innovativ. Die Schweiz hat das Potenzial, in der Quantentechnik eine ?hnliche Schlüsselrolle zu spielen wie in der Automobilindustrie. Sie stellt zwar selbst keine Autos her, hat aber viele wichtige Zulieferfirmen.

Wie ist die Bilanz in der Lehre, in erster Linie beim Masterstudiengang Quantum Engineering, der 2019 eingeführt wurde?
Die ETH Zürich war die erste Hochschule mit einem solchen Studiengang. Inzwischen gibt es ?hnliche Angebote auch in Lausanne und Genf. Die bisherigen Erfahrungen sind sehr gut. Wir haben fantastische und motivierte Studierende. Davon profitieren wir alle. Der grosse Engpass in der Quantenforschung sind spezialisierte Fachkr?fte.

Welchen Beitrag hat der NCCR QSIT in Bezug auf die Frauenf?rderung geleistet?
In den letzten Jahren hat sich im Departement Physik einiges getan und wir haben mehrere junge Professorinnen berufen. Beim NCCR QSIT haben wir von der Anstellungspolitik der Hochschulen profitiert. Inzwischen machen deutlich mehr Frauen in der Quantenforschung ihre Doktorarbeit. Ein wichtiges F?rderinstrument, das wir beim NCCR QSIT entwickelt haben, sind die Inspire-Awards, mit denen wir Frauen auf Stufe Master und Postdoktorat f?rdern. Diese Auszeichnungen werden inzwischen auch von anderen Nationalen Forschungsschwerpunkten vergeben sowie im neuen Quantum Center an der ETH Zürich. Aber natürlich müssen wir weiter an einer offenen und inklusiven Kultur für die Quantenforschung arbeiten.

 

Zur Person

Klaus Ensslin ist seit Oktober 1995 Professor für Experimentalphysik am Laboratorium für Festk?rperphysik der ETH Zürich. In seiner Forschung untersucht er elektronische Eigenschaften neuartiger Halbleiter-Bauelemente. Ein wichtiges Ziel der Arbeitsgruppe ist die immer bessere Kontrolle der Quanteneigenschaften von Elektronen in Nanostrukturen. Klaus Ensslin war Mitinitiator und Direktor des NCCR QSIT.

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